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Kraft
Muskelkraft
Tretbewegung
Bewegungsablauf
Sitzposition
Aerodynamik
Entfaltung

 

Biomechanik 
5.3.4 Bewegungsablauf

Der Muskeleinsatz im Spitzenradsport und die sichtbaren Konsequenzen.

Diese Zusammenfassung ist ein Versuch, die Spitzenleistungen, welche im Spitzenradsport in den letzten Jahren erreicht wurden, mit den Leistungen der 80 Jahre zu vergleichen. Dazu muss ich die theoretischen Grundlagen aufrollen, und einige Hypothesen heranziehen.

Die verschiedenen Phasen der Tretbewegung als funktionell-anatomische Beschreibung des Bewegungsablaufes

Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus:

Thomas Henke
"Zur biomechanischen Validierung von Komponenten der
Fahrtechnik im Straßenradsport", Sport und Buch Strauß,
Köln 1994
  Dr. rer. nat Thomas Henke
  Lehrstuhl für Sportmedizin
  Ruhr-Universität Bochum
  44780 Bochum
  Deutschland

der Muskeleinsatz bei der Tretbewegung

 

Der grosse Gesässmuskel (7) beginnt mit seiner Hauptkontraktionsphase in Position 1, dem oberen Totpunkt (OT) und bewirkt eine Streckung in der Hüfte bis etwa zur Pos. 4. Obwohl die Hüftausdehnung bis kurz hinter dem unteren Totpunkt (UT), Pos. 5 fortgesetzt wird, ist dieser Muskel in der letzten Phase dieser Streckung nicht länger aktiv. Die Hüftstreckung wird ebenfalls unterstützt durch die Kontraktion des zweiköpfigen Unterschenkelbeugers (2). Dieser Muskel beginnt mit seiner Hauptkontraktion kurz vor der Pos. 2 und endet hinter dem unteren Totpunkt (UT) zwischen Pos. 5 und Pos. 6. Die Tendenz des Unterschenkelbeugers, über den unteren Totpunkt hinaus eine Hüftstreckung zu bewirken, scheint zunächst unrationell zu sein, jedoch wirkt dieser Muskel gerade in dieser Phase als kräftigster Kniebieger. Natürlich arbeitet der Unterschenkelbeuger auch von Pos. 2 zur Pos. 5 in Richtung Kniebiegung, weshalb andere Muskeln benötigt werden, um zwischen den genannten Positionen eine Kniebiegung zu vermeiden. Die Unterschenkelstrecker (8)(9) aktiv, d.h. kniegelenksstreckend und gleichzeitig biegungshindernd. Sie beginnen mit der Kontraktion etwa in Pos. 8 also 45° vor dem oberen Totpunkt, und beenden ihre Kontraktion zwischen der Pos. 3 und der Pos. 4. Wiederum erscheint die Aktivität von Kniestrecker vor Erreichen des oberen Totpunktes ineffektiv, jedoch ist die Kontraktion in diesem Bereich exzentrisch, mit der Absicht eines Abbremsens der Kniebiegung, so dass ein quasi fliessender Übergang zur Kniestreckung stattfinden kann. Diese wird unterstützt durch den verbleibenden Anteil des Unterschenkelstreckers. Die Adduktoren beginnen mit der Kontraktion zwischen der Pos. 7 und der Pos. 8 und beenden sie etwa in der Pos. 2.

Die Aktivität des Unterschenkelstreckers (1), die vor dem Erreichen des oberen Totpunktes stattfindet, tendiert zwar zur Kniestreckung, bewirkt allerdings ebenfalls eine Hüftbiegung. Die Rekrutierung dieses Muskels in der genannten Phase kann zum einen in seiner dort zu beobachtenden Vortriebswirksamkeit gesehen werden, zum anderen in dem gleichzeitig durch seine Kontraktion stattfindenden Abbremsen der Kniebiegung mit dem flüssigen Übergang zur Kniestreckung. Die Kniebiegung wird gleichfalls bewirkt durch den Einsatz des Zwillingsmuskels(5), der über einen beträchtlichen Bereich der Kurbelumdrehung aktiv ist. Seine aktive Phase beginnt kurz hinter dem oberen Totpunkt und endet zwischen den Positionen 6 und 7. Seine Aktivität nach dem Erreichen des unteren Totpunktes ist erklärbar, sofern die beim Radsportler übliche Fixierung zwischen Fuss und Pedal vorhanden ist und er auch in dieser Phase vortriebswirksame Kräfte einleiten kann. Die Aktivität Zwillingsmuskels zwischen oberem und unterem Totpunkt ist verantwortlich für die dort stattfindende Planarflexion im Sprunggelenk. Die Dorsalflexion desselben Gelenks zwischen Pos. 8 und dem oberen Totpunkt wird in diesem Bereich durch die Fusstreckmuskulatur(6) erreicht.

Weitere Forschungsarbeiten von Dr. rer. nat Thomas Henke

Auffallend bei der radsportlichen Trettechnik ist das Phänomen, das als Lombard’s Paradoxon bekannt ist. Danach sind Bieger und Strecker des Oberschenkels teilweise zur gleichen Zeit aktiv.

Unter dem häufig zitierten "runden Tritt" wird vor allem eine optimale Entlastung des Antagonisten verstanden, und nicht wie etwa erwartet eine möglichst auf die gesamte Umdrehungsachse verteilte vortriebswirksame Belastung der Pedale. Dies wäre nämlich aus biomechanischen Gesichtspunkten falsch. Leider sind diese Thesen häufiger vorhanden und untersucht, als die Frage nach der Sitzposition in Abhängigkeit zu den Muskeleinsätzen bezogen auf die Wirksamkeit der Pedalstellung.

Gerade diese Betrachtung muss näher untersucht werden, und deswegen habe ich einige Untersuchungen durchgeführt, um eine Hypothese zu stützen, welche ich gefühlsmässig schon seit meiner eigenen Aktivzeit vertrete. Dabei sind einige Grundlagen, welche für die wesentlichen Stützpunkte der Hypothese gelten, nachstehend aufgeführt.

  • Im Radsport ist nicht die statische Kraft der arbeitenden Muskulatur leistungsbestimmend.
  • Der Energieverbrauch der dynamischen Kraft hängt von deren Frequenz ab.
  • Die maximale Grösse der dynamischen Kraft hängt von deren Frequenz ab.
  • Das Optimum der Kontraktionskraft liegt zwischen 90% und 110% der Ruhelänge des Muskels
  • Das Optimum der Kontraktionszeit bei der Tretbewegung hängt von der Faserverteilung des Muskels ab.
  • Die Faktoren der dynamischen Kraft sind:    - Niveau der statischen Kraft
                                                                    - Koordinative Leistungsfähigkeit der Muskulatur
                                                                    - Muskelvordehnung
                                                                    - Bewegungsfrequenz
                                                                    - Art der Kraftentwicklung ± Dynamisch
                                                                    - Ermüdungsgrad

Bei der Zusammenfassung der Grundlagen kommt man zur Erkenntnis, dass es für jeden Muskel einen idealen Bereich bezüglich Kraftentwicklung und seiner Aktionsfrequenz gibt.

Demzufolge ist die optimale Sitzposition für den Radsportler abhängig von den äusseren Gegebenheiten. Das Optimum beim Bergfahren ist nicht identisch mit dem Optimum auf der Ebene.

Die Grundeinstellung der Sitzposition sollte daher ein Mittelwert der unterschiedlichsten Einflüsse und deren Gewichtungen sein.

Die optimale Kurbellänge ist ebenfalls ein Fragenkomplex, welcher entscheidend für die Leistung des Athleten ist. Auch diesbezüglich habe ich eine Hypothese, welche bereits teilweise gestützt wird von den Forschungsergebnissen von Lennard Zinn. Weitere Untersuchungen und Resultate finden Sie unter analyticcycling.

Um diesem Optimum relativ nahe zu kommen, habe ich ein EDV Programm geschaffen, welches es erlaubt, das Integral der vortriebswirksamen Vektoren der einzelnen Muskeln in Abhängigkeit ihrer Effizienz zu bestimmen. Dazu sind Videoaufnahmen des Athleten auf einer Rolle notwendig. Die optische Markierung von (Trochanter major) Rollhügel des Oberschenkelknochens, (Epicondus lateralis) Kniegelenk-Mittelpunkt in der Ansicht und (Processus styloideus radii) Griffelfortsatz der Unterschenkel-Speiche dienen zur Ermittlung der Koordinatenpunkte bei der Tretbewegung. Über die Koordinatenpunkte können die Winkelbereiche der Tretbewegung und somit die Einsatzbereiche der einzelnen Muskeln errechnet werden. Es ist sofort ersichtlich, dass mit einer Gewichtung der an der Tretbewegung beteiligten Muskeln und ihren Wirkungslinien eine Optimierung der Parameter möglich scheint. Diese Optimierung besteht 1. in der richtigen Positionierung des Trochanter major (optimale Sitzposition). 2. in der Wahl der richtigen Kurbellängen und 3. in der Wahl des richtigen Oberkörperwinkels. Die ganze Optimierung geschieht mit dem Programm auf iterative Art. Dabei werden die gemessenen Koordinaten als Ausgangsbasis berechnet. Die Iteration verschiebt nun die Parameter 1-3 in gewählten Schritten in alle Richtungen soweit bis das grösste Integral der vortriebswirksamen Vektoren gefunden ist.

Verifizierung der theoretischen Annahmen

Wir haben in den letzten beiden Jahren ebenfalls Tests mit unterschiedlichen Kurbellängen gemacht. Der Athlet hat international beachtliche Erfolge, ist 1.65m gross und bevorzugt eher kupiertes Gelände. Die Testausrüstung bestand aus einem Paar 170mm und einem Paar 172.5mm Kurbeln. Die Kniewinkel betragen bei der kurzen Kurbel min. 64.54 Grad und max. 148.27 Grad. Bei der langen Kurbel werden die Kniewinkel min. 63.66 Grad und max. 150.17 Grad. Das bedeutet, dass schon bei einer geringen Körpergrösse aus biomechanischer Sicht die längeren Kurbeln zu bevorzugen wären. Als Messeinrichtung diente das SRM System von Schoberer-Rad-Messtechnik. Bis heute kann die Testreihe mit folgenden Aussagen zusammengefasst werden: Mit den längeren Kurbeln wird eine 5% geringere Tretfrequenz (Mittelwert über mehrere unterschiedliche Trainings) festgestellt. Gleichzeitig wird aber bei gleicher Herzfrequenz eine um 8% grössere Wattzahl ermittelt. Die Untersuchungen bezüglich Nervensystem und Energiesystem ist noch nicht abgeschlossen. Eine definitive Empfehlung, ob nun wirklich die Kurzen, oder längeren Kurbeln die besseren Resultate bringen, lässt sich nicht abgeben. Dies ist erstens vom Charakter des Wettkampfes abhängig, zweitens von den effektiven Hebelverhältnissen des Sportlers (Kniewinkel) und drittens vom Muskelaufbau des Sportlers (Anteil langsamer zu schnellen Muskelfasern). Ich bin davon überzeugt, dass Athleten mit tendenziell schnelleren Muskelfasern (Sprinter und Rollertypen) mit kürzeren Kurbeln die besseren Resultate erzielen. Athleten mit tendenziell langsameren Muskelfasern (Etappenfahrer, Bergfahrer) erreichen mit längeren Kurbeln die besseren Resultate.

Diese Feststellungen sind sicher Erklärungen, wieso im heutigen Strassenrennsport unterschiedliche Athletentypen zu Erfolgen kommen, und andererseits die Universalrennfahrer, wie sie früher durch Hinauld und Merckx verkörpert wurden, nicht mehr anzutreffen sind.

Als einzige Empfehlung kann ich nur eine Warnung geben. Es ist äusserst kontraproduktiv, während der Saison die Kurbellänge mehrmals zu wechseln. Die Bewegungsökonomie wird dabei strapaziert und die Wettkampfresultate werden schlechter. Dies sollten vor allem Biker beachten, welche auf dem Mountain-Bike längere und auf dem Strassenrad kürzere Kurbeln verwenden. Diesen würde ich unbedingt auf dem Strassenrad auch längere Kurbeln empfehlen.

 

 
 
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01.01.2008                          © Copyright 1995-2008 msporting.com. All rights reserved.